„Wo ist die Pamela-Hannelore?“, rufe ich.
„Daaaaaa ist die Pamela-Hannelore!“, rufe ich.
„Wo ist der Papa von der Pamela-Hannelore?“, rufe ich.
Pamela-Hannelore ist unsere Tochter. Nur dass sie in Wirklichkeit zum Glück nicht Pamela-Hannelore heißt. Pamela-Hannelore sitzt im Kindersitz neben mir auf der Rückbank des kleinen Autos. Da nur die Freundin einen Führerschein hat, bin ich auf Dauer nach hinten verbannt. Backseat Girl und Backseat Boy bzw. Backseat Dad. Take Dad, haha, Entschuldigung, ich bin möglicherweise verrückt geworden, hihi. Rücksitz On The Block, hoho.
Wir machen einen Wochenendausflug von Christchurch an der Ostküste der Südinsel Neuseelands an die Westküste, quer durch die neuseeländischen Alpen. (Häh? Was macht denn der Strübing in Neuseeland?) Draußen ziehen mutmaßlich beeindruckende neuseeländische Landschaften vorbei, aber ich bin gerade anderweitig beschäftigt:
„Daaaaa ist der Papa von der Pamela-Hannelore!“, rufe ich.
„Guck mal, der Wasserfall!“, ruft die Freundin.
„Wo?“, rufe ich.
„Vorbei!“, ruft die Freundin.
„Wo ist die Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore?“, rufe ich.
Beestje waar ben je? – Tierchen, wo bist du?– ist zur Zeit das Lieblingsbuch der Tochter: Ein niederländisches Spielbuch mit Filzklappen, hinter denen sich eine Raupe, eine Biene, eine Schnecke, ein Marienkäfer mit Stiefeln und, auf der letzten Seite, ein Spiegel verbergen.
„Daaaa ist die Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore!“, rufe ich.
Wenn wir am Ende des Buches angekommen sind, bewege ich das Buch so, dass die Tochter abwechselnd sich selbst und mich sieht. Manchmal kann ich sie auf diese Weise solange beschäftigen, bis sie einschläft. manchmal wird es ihr zu blöd, sie durchschaut den Trick und fängt wieder an zu schreien.
(Ein bisschen besser als Autofahren: Die Papa-Sänfte.)
Sie hasst Autofahrten. Und sie hat mich gelehrt, Autofahrten ebenfalls zu hassen. Zumindest Autofahrten mit Tochter an Bord, zumindest, wenn die Tochter schreit und ich sie nicht einfach in den Arm nehmen kann, sondern mich irgendwie verdreht zu ihr hinüber beuge und sie mit immer neuen Tricks und Spielen abzulenken versuche und nichts mehr hilft und mir die Ohren bluten, weil sie eine unfassbare Lautstärke produziert und zwar mit exakt der Frequenz, die Trommelfelle wie Glas zerspringen lässt.
„Wo ist der Freund von der Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore? Daaaa ist der Freund von der Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore!“, rufe ich.
(Jaja, ganz hübsch. Aber das beste ist, dass die Tochter schläft!)
Unterwegssein mit Kind ist (ich glaube, soviel kann man sagen, ohne Widerspruch herauszufordern) anders als ohne. „Besser“ wäre das falsche Wort. „Schlechter“ darf man nicht sagen, weil offiziell alles besser ist mit Kind. Aber, seien wir ehrlich: Es wäre für alle Beteiligten einfacher, wenn wir die Tochter für unsere verlängerte Wochenendtour bei der Oma geparkt hätten. Wir haben uns aber nicht getraut, die Omen in Deutschland und den Niederlanden zu fragen, ob sie am Wochenende vorbeikommen können.
Kennt ihr diese super praktischen, extra leichten, sinnreich ausgetüftelten Camping-Ausrüstungsgegenstände, die man in Outdoorläden kaufen kann und die das Reisen soviel einfacher machen? Ein Baby ist das genaue Gegenteil davon.
Dauert muss man es einschmieren und mit Wasser und Nahrung befüllen und auf dem Rücken Berge raufschleppen und wieder runterschleppen und es saubermachen und unterhalten und vor allem von der großen Gemeinheit hinter allem ablenken: Dass sie stundenlang in Kindersitzen, Kinderwägen und Babytragevorrrichtungen festgezurrt wird, damit Mama und Papa etwas Tolles erleben können, was freilich in genau dem Moment aufhört, toll zu sein, wo sie den Betrug durchschaut und sich sagt: „Wenn ich ’n scheiß Tag hab, sollen die auch ’n scheiß Tag haben!“ Und glaubt mir, sie hat keine Probleme damit, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen!
(Was man auf diesem Bild nicht sieht: die schreiende Tochter auf meinem Rücken, das Zahnfleisch, auf dem ich den Berg hochgekrochen und die zerreißenden Nerven, an denen ich mich später bergab hangelte.)
Und selbst wenn alles gut läuft: Beim Herumreisen habe ich das erste Mal wirklich geschluckt und gemerkt, was alles wegen dieser ganzen Kinderkriegerei unmöglich geworden ist.
Einfach mal am Meer anhalten, aus dem Auto springen und ins Meer rennen? Kannste knicken. Einfach mal an einem Café anhalten, aus dem Auto springen und einen Kaffee trinken? Kannste knicken. Einfach mal Abends auf ein Bierchen ausgehen und bei Bedarf 7 Schnäpse und 3 Cocktails daraus werden lassen? Kannste knicken.
(Eine recht gelungene Illustration meines Geisteszustandes an jenem speziellen Tag.)
Neidvoll sieht man jungen Paaren oder Singles zu, die einfach tun, wonach ihnen der Sinn steht, hier mal eben in den Ozean hüpfen, dort mal eben im Gebüsch kopulieren, da mal eben den Laptop aufklappen und ein bisschen Buchhaltung machen. Wobei wir das mit dem Kopulieren nicht wirklich gesehen haben, das mit dem Laptop dafür um so häufiger gesehen.
(Neuseeland: Traumland für Kite-Surfer und Pram-Pusher!)
Alles richtet sich nach der Tochter, und wenn die gerade schläft, überlegen wir uns dreimal, ob wir jetzt wirklich für irgendeinen dahergelaufenen Gletscher, die paar Wale da am Horizont oder den Drehort der Szene, in der sich Frodo die Nägel schneidet, anhalten und riskieren, dass die Tochter wieder wach wird und das alte Spiel erneut beginnt:
„Wo ist das Baby vom Freund von der Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore? Daaaa ist das Baby vom Freund von der Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore!“
Reisen mit Baby ist das eine. Reisen UND Arbeiten mit Baby ist noch mal eine ganz andere Nummer. Ich will mich um Himmels Willen nicht beschweren, schon aus Angst, dass mich bei meiner Rückkehr am Flughafen Tegel ein von Neid zerfressener, mit Mistgabeln bewaffneter Mob erwartet, der (völlig zu recht) gern mit mir getauscht hätte.
Aber – wird man ja wohl noch sagen dürfen –: Die Zeit und Ruhe zu finden, Dinge zu erleben, zu verarbeiten und dann darüber zu schreiben, ist … schwierig. Die werte Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore, die erfreulicherweise auch noch meine Freundin ist, hilft mir sehr. Da wir beide freischaffend sind, versuchen wir immer demjenigen von uns, der gerade mehr zu tun hat, ein bisschen Kinderkümmerei abzunehmen. Aber es bleibt eine Herausforderung.
Bevor die Tochter geboren wurde, haben mir andere Eltern gesagt: „Jaja, mit dem Schlafen, das ist schwierig, aber irgendwann kommt das zurecht: Du schläfst einfach, wenn das Baby schläft!“ In welcher wunderschönen Parallelwelt leben diese Menschen? Bei mit heißt es: „Du arbeitest einfach, wenn das Baby schläft. Und schläfst, wenn … naja, da findet sich nachts schon noch ein Stündchen.“ Wenn die Babyaugen zuklappen, klappe ich den Laptop auf.
(Making of dieser Blogbeitrag)
„Wo ist der jugendamtlich beurkundete zweite gesetzliche Vertreter des Babys vom Freund von der Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore?“, rufe ich.
Große Glücksfälle im Leben bringen ja immer die Verpflichtung mit sich, auch glücklich zu sein. Wenn man zum Beispiel samt Freundin und Tochter nach Neuseeland fliegen kann, um zu schreiben. Die einzig zulässige Antwort auf die Frage, wie es einem zu jedem beliebigen Zeitpunkt dieser Reise geht ist „super“. Alles andere wäre eine Verhöhnung der in der lichtlosen kalten Heimat Zurückgebliebenen.
Aber wie fad wäre ungetrübtes Glück? Wie langweilig ein Paradies ohne Sandfliegen? (Dies sind rethorische Fragen. Wären sie es nicht, müsste ich antworten mit: „Keine Ahnung. Aber ich würde es verdammt gerne mal ausprobieren“ 😉
„Daaa ist der jugendamtlich beurkundete zweite gesetzliche Vertreter des Babys vom Freund von der Mutter von der Tochter von dem Papa von der Pamela-Hannelore“, rufe ich.
„Oh, da, schon wieder ein Roadkill!“, jubelt die Freundin, die vermutlich vehement bestreiten würde, gejubelt zu haben, aber ich bin hier vor allem meinem Text verpflichtet und nicht solchen Lappalien wie der Wahrheit. „Ich glaub, das war ein Possum!“
„Wo?“
„Vorbei! “
„Wo ist die Cousine vom Sohn des Bruders des jugendamtlich beurkundeten zweiten gesetzlichen Vertreters des Babys vom … äh, verdammt, jetzt bin ich durcheinandergekommen!“ Die Tochter beginnt wieder zu schreien.
Pamela-Hannelore interessiert sich einen Dreck für die neuseeländischen Alpen. Viel lieber würde sie auf dem (vorzugsweise ungesaugstaubten) Teppich in unserer Wohnung nach verschluckbaren Kleinteilen suchen und vielleicht einen schön eingespeichelten, mit Staub und Fusseln und Haaren verklebten Brot-mit-Erdnussbutter-Batzen finden, den sie beim letzten Mittag vorsorglich in irgendeine finstere Ecke gepfeffert hat.
(Wer braucht schon Berge und Regenwald, wenn er ein Gänseblümchen haben kann?)
Letztlich ist es purer Egoismus, mit einem Baby zu verreisen, einfach, weil es noch geht. Ein Egoismus, der sich rächen kann.
Eines Tages wird sie uns dafür hassen, dass wir diese Reise mit ihr gemacht haben. Wenn sie uns nämlich fragt, ob wir in den Ferien nach Spanien, Amerika oder Paris fliegen können und ich antworte: „Du warst schon in Neuseeland, guck, da sind die Fotos. Und jetzt zieh die Schuhe an, wir fahren an den Müggelsee.“
„Oh, ein Pinguin“, ruft die Freundin.
„Wo?“, rufe ich.
„Jugendamtlich beurkundet“, sagt die Tochter.
„Was?!?!“, rufe ich.
„War nur ein Witz“, ruft die Freundin.
„Blöbbelblöbbel“, macht die Tochter.
(„Jaja Schatz, alles im Auto, lass uns schnell losfahren!“)
Epilog und Ausblick: Bis jetzt war alles nur Probe. Zwischen Weihnachten und Anfang Januar sind wir mit dem Zelt unterwegs, weil wir verpasst haben rechtzeitig Unterkünfte zu buchen. Mal sehen, wie ihr das schmeckt, har har har! (Und uns. Der Wetterbericht verspricht für Sylvester 18 Grad Höchsttemperatur.)
((Kinderwagen-)Spuren im Sand …)