„The world is your oyster“, sagt Ema und lächelt, weil sie es nicht ganz ernst meint und schon gar nicht als Vorwurf. Obwohl natürlich etwas dran ist. Ema ist Künstlerin und Kuratorin aus Auckland, stammt aber von den Fidschis. Kennengelernt haben wir uns in Christchurch, wo sie eine Ausstellung im Physics Room kuratierte.
Jetzt sitzen wir in einem Café in Auckland, es gibt samoanischen Kaffee und tonganischen Pie oder umgedreht, lecker jedenfalls, und dazu seltsamerweise portugiesische Schokomilch, egal, auch lecker.

(Ema Tavola – von der ich leider kein brauchbares selbstgemachtes Foto habe. Ihre Website ist definitiv einen Besuch wert: https://pimpiknows.com/)

Auckland ist eine sehr andere Stadt als Christchurch, dieser platte Pfannkuchen an der Ostküste der Südinsel, mit seinem vielen Platz und den sehr weißen Menschen und seiner ganzen Nicht-Urbanität, den vom Erdbeben gerissenen Lücken und den paar leblosen Shopping- und Büroneubauten.

Auckland ist auf Hügeln erbaut, die Innenstadt – der CBD, Central Business District (seit wann heißen Innenstädte so?) – hat viele Hochhäuser und einen Fernsehturm, was sehr cool aussieht und an Comic-Städte von Frank Miller oder … na, wie hieß er gleich … der mit der Liga der ulkigen Gentleman erinnert. Die Stadt ist laut und voll, das Wetter ist anders, das Klima ist anders, die Vegetation ist anders, alles ist anders als in Christchurch bis auf die Währung und die Supermarktketten; die Menschen kommen in allen möglichen Farben, Formen und Finanzratings daher; im Yachthafen kann man reiche Menschen beneiden, eine Ecke weiter Bettlern eine Münze in den Hut werfen, weils sie einen erinnern, dass der eigene Platz in der Welt nicht der schlechteste ist.

Das Café liegt etwas außerhalb des CBD, am Tag zuvor hat Ema mit uns eine Rundreise durch South Auckland gemacht, wo sehr viele Pacific Islanders leben, Immigranten von Tonga, Samoa, den Fidschis und anderen Inseln im Südpazifik.

Ich lerne viel über die Kultur der Pacific Islanders, ihre Verbundenheit zu ihren Heimatinseln und Familien, ihrem trotzigen Stolz auf ihre Herkunft. Und über die Maori, die vor vielen hundert Jahren ebenfalls aus dem Pazifik einwanderten, lange bevor der Niederländer Abel Tasman das Land Aoteaora in „Neuseeland“ umbenannte. Über Rassismus, über die Wunden der Vergangenheit und fortgesetzte Benachteiligung. Wir reden über die Situation von Frauen in Neuseeland und überall (mit einer langen Abschweifung zum Detailthema „Mütter“), und Ema erzählt von der schwierigen Gratwanderung, einerseits die Kultur der Pacific Islands bewahren zu wollen, andererseits ihre patriarchalischen, überholten Aspekte zu überwinden.

Sie erzählt wie sie gerade an diesem Morgen schwimmen war und in der Umkleidekabine unfreiwillig drei Teenager belauschte, polynesische Mädchen, die voller Hass und Ekel über ihre eigenen Körper sprachen. Sie wachsen auf mit westlichen Filmen, westlichen Popstars und dem westlichen Schönheitsideal, mit Bildern von sehr schlanken, sehr hellen Frauen. Sie werden nie weiß oder hellhäutig sein. Der Körperbau von Männern und Frauen von den pazifischen Inseln ist grundsätzlich anders als bei Europäern und die vorgeschriebene DIN-Traumfigur mit ihren geringen zulässigen Toleranzen ist für die meisten von ihnen unerreichbar. (Wie für die meisten Europäerinnen.) Viele von ihnen sind schön und die meisten sind sehr eindrucksvoll, aber egal wie gut sie aussehen: Sie passen nie in die Schablone.

Das westliche Schönheitsideal, oder besser: seine Unbedingtheit und Omnipräsenz, die Bessenheit davon, hat auch für viele europäische Mädchen und Frauen schreckliche Folgen. Es geht mit einer Abwertung der Frau an sich einher, in dem es ihren Körper zum wichtigsten, ihren Wert bestimmenden Merkmal erklärt.

Für Weiße heißt es: Du, als Individuum, bist hässlich/hast keine gute Figur/musst ein bisschen auf dein Gewicht achten etc.. Schwarze Menschen werden grundsätzlich ausgeschlossen. Das ist die rassistische Komponente. Es gibt ein paar schwarze Filmstars, ein paar schwarze Models, Cocktailkirschen der Weltoffenheit auf einem großen Berg weißer Sahne. (Huch, Entschuldigung, ich muss eben die Metaphernmaschine einen Gang runterschalten.) Von der neuseeländischen Cosmopolitan lächelt dich wie überall auf der Welt eine blonde, weiße Frau an.

(Slideshow mit Analogfotografien von Auckland und Piha Beach)

Die eigene Kultur und der Stolz auf die eigene Herkunft und ihre Einzigartigkeit wären für die drei Mädchen aus Emas Geschichte der beste Schutz gegen die Scham, nicht dass zu sein, was westliche Magazine ihnen als Ideal präsentieren.

„I think it comes from being a minority“, sagt Ema, als wir über Stolz reden. „It’s a form of resisting being invisible. It’s a sort of survival.“

Sie erzählt vom Kunstbetrieb, in dem pazifische Kunst zwar einen kleinen Platz habe, aber meist als etwas Exotisches, mit dem man sich mehr schmückt als identifiziert, ausgesucht von westlichen Ausstellungsmachern, präsentiert in Räumen, die für moderne westliche Kunst geschaffen wurden.

Irgendwann im Laufe unseres Gesprächs fange ich an, von meinen Sorgen zu reden – vielleicht ging es um meine Situation als freischaffender Autor, die Leiden eines Vaters einer einjährigen Tochter oder die hohen Bierpreise in Neuseeland, aber gerade noch rechtzeitig merke ich, dass das jetzt eher ein Moment zum Zuhören ist, und ich unterbreche mich: „Well, at least I’m white and I’m a man, I shouldn’t complain!“

 

Ema nickt. „The world is your oyster!“ Fast wäre mir doch noch rausgerutscht, dass ich Austern gar nicht mag (obwohl ich noch nie eine gegessen habe), und dass sie mir zu teuer sind, und wenn ich doch mal eine essen sollte, würde ich mir (so wie ich mich kenne) wahrscheinlich an einer Perle einen Zahn abbrechen, aber Ema lächelt, weil sie es nicht ganz ernst und schon gar nicht als Vorwurf meint und weil es trotzdem ein bisschen stimmt. Also lache ich mit ihr und freue mich über die schöne Metapher. Statt einer Auster habe ich dann noch einen portugiesischen Kakao geschlürft.

Vielen Dank, Ema, für die Zeit, die Herzlichkeit und all Deine Geschichten!