Einen Tag vor der großen Reise werden sämtliche Fenster in unserer Wohnung neu verkittet. Die Handwerker sind sehr freundlich und lassen sich von unserer Packpanik und den überall zwischen aufgerissenen Taschen und Koffern herumliegenden Kleider-, Technik- und Babykrimskramshaufen nicht aus der Ruhe bringen.
In der Kaffeepause wird die Lage analysiert: „Also mit dem Jamaikaquatsch, ich weeß nich. Von mir aus Honolulu, is doch sowieso egal. Was wir wollen interessiert die doch nich. Darum sag ich ooch: Dis is keene Demokratie, was wir hier ham, dis is ne Diktatur. Nur dasses nich een Diktator jibt, sondern janz viele. Und die streiten sich dauernd untern’nander und darum kriegen se nüscht uff die Reihe. Manchmal denkich echt, vülleicht wär ein einzelner Diktator besser, denn müssmer zwar alle nach den seiner Pfeife tanzen, aber wenichstens passiert mal was!“
Bevor sie gehen, bohren sie uns noch zwei Löcher für die Babyschaukel in den Türrahmen.
(Der Kaffee ist jedenfalls sehr traurig, dass ich so lange weg fahre.)
Später, im Medimax, beim Reise-Seckdosen-Adapter-Shopping, will die Kassiererin der Kundin vor mir den Kassenbeleg an die Rechnung tackern, aber die Heftzange ist alle. „Hach!“, seufzt sie und blickt sich nach Zustimmung suchend um, während sie neue Klammern einlegt. „Immer wenn man se mal braucht isse alle!“ Allgemeines Nicken in der Schlange. Ich versuche abzuschätzen, wie oft sie die Heftzange heute schon benutzt hat, ohne zu denken: „Immer wenn man se mal braucht, funktioniertse einwandfrei“.
Ist dieses „immer wenn man’s mal braucht / da will man ein einziges Mal / ausgerechnet bei mir muss natürlich wieder“ typisch deutsch? Oder typisch Mensch? Gibt es das auch auf der anderen Seite der Welt? Und was ist das überhaupt? Eine seltsame Lust daran, sich als Opfer höherer Mächte zu sehen, wenn im Alltag etwas schief geht? Als kleine Hiobs, die ständig von übellaunigen B-Klasse-Göttern getriezt werden?
Wenn die Freude doch genauso groß wäre, wenn mal etwas klappt! Wenn man jedesmal jubeln würde, wenn die Heftzange einfach heftet, die Bahn pünktlich ist oder … der Fahrstuhl funktioniert …
Der Fahrstuhl funktioniert nicht. „Also eigentlich funktioniert er schon, nur der Notrufknopf funktioniert nicht“, erklärt mir ein Angestellter des Fahrstuhlherstellers, als ich nach Hause komme und ihn dabei erwische, wie er ein „Außer Betrieb“-Schild an den Fahrstuhl klebt. „Und darum müssen wir den Fahrstuhl abschalten.“
Als ich den Einkauf in den dritten Stock hochschleppe (falls man bei drei Reise-Steckdosen-Adaptern von schleppen sprechen kann) und mir vorstelle, wie ich morgen früh um 4.00 Uhr zwei 30-Kilo-Koffer, drei große Handgepäckstücke, den Kinderwagen, den Kindersitz, den Babytragerucksack und mich die drei Stockwerke werde runterschleppen müssen, fahre ich das ganze Programm ab: „Immer wenn man den Fahrstuhl mal braucht, ist er kaputt!“, „Da will man ein einziges Mal nach Neuseeland und prompt ist der Fahrstuhl kaputt!“ usw. Ich fürchte, ich bin kein bisschen besser als die Medimax-Frau.
Dann denke ich mir noch ein paar Beispiele aus, die die unglaubliche Idiotie der ganzen Aktion beweisen: Das ist doch, als würde man Selbstmord begehen, nur weil die Lebensversicherung abgelaufen ist!
Dann fällt mir ein, dass ich erst vor zwei oder drei Monaten just in diesem Fahrstuhl steckengeblieben bin und sehr, sehr froh über den funktionierenden Notrufknopf war. Und wie ich damals trotzdem wegen des steckengebliebenen Fahrstuhls meinen Zug verpasst hatte. Und dass wir, wenn sie heute den Fahrstuhl aus welchem Grund auch immer außer Betrieb nehmen, er morgen früh um 4, wenn wir zu dritt mitsamt unseren 100 Kilo Gepäck darin nach unten (und also in jeder Hinsicht Richtung Neuseeland) fahren, nicht mehr steckenbleiben kann. Alles wird gut. Hauptsache, das Flugzeug funktioniert und man wir haben noch ein paar Klammern in der Heftzange …
(Kleidung? Trag ich am Leib oder kauf ich da, ich kann doch nicht JEDEN Scheiß mitschleppen!)
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