Christchurch oder: Ōtautahi ist die drittgrößte Stadt Neuseelands, liegt an der Ostküste der Südinsel, die bis vor wenigen Jahren einfach nur „Südinsel“ hieß und seither Te Wai-pounamu heißt. 2017 wurde Christchurch 161 Jahre alt und ist damit – huij! – die älteste neuseeländische Stadt. Die Geschichte des Landes und der Besiedlung dieser Region reicht viele Jahrhunderte weiter in die Vergangenheit, aber es dauerte sehr lange, bis die entspechenden Formulare samt der Beamten, die sie auszufüllen befugt sind, diesen Teil der Welt erreichten …
(Viel älter als Christchurch (zumindest offiziell): Amsterdam)
Christchurch gilt als die englischste Stadt Neuseelands. Ich war noch nie in England, weshalb ich mir darunter wenig vorstellen kann. Wenn ich an England denke, tauchen die typischen Klischees vor meinem inneren Auge auf: 5-Uhr-Tee, Nieselregen, John Cleese auf dem Weg in sein Büro im Ministry of Silly Walks. Als englischste Stadt Neuseelands ist Christchurch wahrscheinlich eine der europäischsten Städte der Südhalbkugel. Vielleicht ist ja wirklich alles wie bei uns zuhause, nur mit Pinguinen, Hobbits und Linksverkehr? Ich werde mich auf alle Fälle auf die Suche nach den Unterschieden machen. Und vielleicht feststellen, dass die Suche nach den Gemeinsamkeiten viel spannender ist.
Christchurch, genauer gesagt die zum Stadtgebiet gehörende alte Hafenstadt Lyttelton war und ist Ausgangspunkt vieler Antarktis-Expeditionen. Robert Falcon Scott trank hier 1910 seinen letzten zivilisierten Tee bevor er ohne Wiederkehr zur Terra-Nova-Expedition aufbrach. Für die USA und Italien (Italien? ja! Italien!) als Ausgangspunkt ihrer Antarktisprogramme.
Am 22.2.2011 wurde Christchurch von einem starken Erdbeben heimgesucht. 185 Menschen starben, 5900 Verletzte wurden registriert. Mehr als 12.000 Gebäude mussten abgerissen werden. Da Christchurch teilweise auf trockengelegtem (aber eben nicht wirklich trockenem) Grund gebaut ist, trat beim Beben „Bodenverflüssigung“ auf.
Schon das Wort ist purer Horror. Der Boden auf dem wir stehen ist eine der wirklichen Gewissheiten eine Sache, auf die man sich verlassen kann, die einem Halt gibt, egal wie chaotisch die Welt um einen herum auch scheint. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn sich diese eine Gewissheit plötzlich verflüchtigt, bzw. verflüssigt. Wenn der Boden schwankt, als würde die Erde versuchen, den Menschen und seine eitlen Bauten abzuschütteln.
Ich hoffe, dass ich so etwas nie selbst erleben werde. Aber ich möchte mit Menschen reden, die es erlebt haben. Vielleicht, weil heute auf jedem anderen Gebiet – in der Wirtschaft, der Politik, der Kultur – die Gewissheiten schwinden. Weil sich Druck aufbaut, der sich eines Tages in einem großen Beben entladen könnte. Weil der Boden auf dem wir stehen, das Fundament unserer Gesellschaft vielleicht nicht so fest ist, wie wir dachten.
Christchurch hat sich nach dem Erdbeben von 2011 neu erfunden und erfindet sich noch immer. Die einen loben die zukunftsweisende Stadtplanung, andere beklagen, dass der Neu- und Wiederaufbau ein Booster für die Gentrifizierung ist.
Was mich besonders freut: Christchurch auf der Ostseite der Südinsel ist Ausgangspunkt einer täglich verkehrenden Zugverbindung durch die Neuseeländischen Alpen an die Westküste. Darauf freue ich mich wie ein kleiner Hobbit! Ich bin ja so gespannt, ob es da auch so guten Kaffee wie bei der Deutschen Bahn gibt!*
* Leute lachen manchmal, wenn ich das sage, aber auf den Filterkaffee aus dem Bordbistro lass ich nichts kommen!